Der Schäfer August Thielking

Aus Dorfheimat Nordhemmern von Wilhelm Helling, 1987

Nach den Erntearbeiten im Spätherbst trafen wir vor einigen Jahren auf den abgeernteten Feldfluren noch häufig Schäfer Thielking mit seiner genügsamen Schafherde. Mit wetterfester Jacke, dem Schäfermantel und dem Stock in der Hand sorgte er mit seinem Hund für seine Herde. Keines der Schafe durfte sich entfernen oder etwa auf die frischgekeimten Kornfelder laufen. Der Beruf des Schäfers reicht schon viele Generationen zurück, denn es gab in der Vergangenheit bedeutend mehr Herden als heutzutage, die aber im Lauf der Jahrzehnte immer weniger geworden sind. Auch die Weidemöglichkeiten waren natürlich besser, denn größere Flächen Land lagen brach und gaben mit ihrem Kraut und Gras gutes Futter. Urbarmachung, Kultivierung und Besiedlung trugen schließlich erheblich zur Verringerung der Herden bei. In der Textilindustrie traten Baumwolle und Kunstfaser ihren Siegeszug an, so daß die Wollgewinnung kaum noch lohnte.

Interessant ist, daß Schäfer Thielking auch etwas von der Heilkunde verstand. So lieferte er für Gelbsuchtkranke manche Schaflaus und konnte damit sogar helfen. Daß der Schäfer auch als Wetterprophet galt, ist kein Geheimnis. Wenn zum Beispiel seine Schafe am Morgen besonders gierig fraßen, kündigte sich Regen und schlechtes Wetter an. Das Bild des Schäfers ist aus unserer Dorfheimat verschwunden. Nur manchmal lauschen die Kinder noch den Erzählungen der Alten und stellen mancherlei Fragen.


Artikel aus dem Mindener Tageblatt:

Nordhemmern (148) In diesen Vorfrühlingstagen sehen wir August Thielking, Nr. 195, einen unserer letzten Schäfer, mit seiner Herde von fast 200 Schafen über die Weideflächen der Nordhemmer Flur ziehen. Trotz seiner 77 Jahre begleitet Schäfer Thielking treu seine Herde. Ein kleiner Hund sorgt dafür, daß sich keins der vielen Schafe entfernt. Auch die kleinen Lämmer bleiben ständig in der Nähe der Mutterschafe.

Der Beruf des Schäfers reicht in der Familie Thielking schon Generationen zurück. Vor 150 Jahren begann die Schafzucht auf der Stätte Nr. 14. Damals zog man noch mit großen Herden in das Weidegebiet Vahrenwald bei Hannover. Auch in Nordhemmern gab es vielfältige Weidemöglichkeiten. Die Strukturveränderung im ländlichen Gebiet, aber auch die kaum noch lohnende Wollgewinnung trugen mit dazu bei, daß im Laufe der Jahrzehnte die Herden immer kleiner wurden.

Auf die Frage, ob sich die Schafhaltung überhaupt noch lohne, antwortet Schäfer Thielking: „Ich übe nun schon 38 Jahre meinen Beruf aus und kann mir ein Leben ohne meine Schafherde nicht vorstellen. Außerdem ist in jüngster Zeit die Fleischverwertung wieder lohnend geworden. Ich stehe mit Düsseldorf und Elberfeld in geschäftlicher Verbindung.“

August Thielking stammt von der Stätte Nr. 14. Schon als Junge stand für ihn fest: Ich werde auch ein Schäfer wie Vater und Großvater! Er erinnert sich noch gut, wie sein Vater im Schäfermantel und mit dem breitrandigen Hut auf dem Kopfe mit seinen Herden immer wieder neue Weideflächen für die genügsamen Schafe ausfindig machte. „Aber wenn ich damals glaubte“, meint August Thielking, schon viel von der Schafzucht zu verstehen, so wurde ich bald eines Besseren belehrt. Erst viele Jahre Berufserfahrung waren nötig, um ein rechter Schäfer zu werden. Unempfindlich und abgehärtet gegen die Unbilden der Witterung muß man sein, Land und Leute kennen, aber auch eine Menge vom Geschäft verstehen.

Bei unserer Unterhaltung auf dem Feld inmitten der Schafherde wurden noch viele Erinnerungen in August Thielking wach. Mit Wehmut denkt er daran, daß eines Tages auch in unserer Dorfheimat das Bild vom Schäfer und seiner Herde der Vergangenheit angehören wird.

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